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vies. Und wieder einmal drängte sich ein vergessenes  Bild
                                                               hervor aus einer  anderen Zeitwtd einem anderen Raum.
                                                                 Zwei zu einem Kelch  geformte  Hände, die ihm den Tee
                                                               reichten, kamen  aus dem  Halbschatten hervor.  Im Hinter-
       !
                                                              grund erklang  ein japanisches  Volkslied. In der Schale war
       t                                                      nur schwach grün gefldrbtes Wasser, in dem kleine dunkler
       I
       ;                                                      getönte  Blättchen  herumschwammen.  Der frische Duft des
       l*                                                     Getränkes  verbreitete  die Atmosphäre  eines tropischen  Ge-
       tt                                                     wächshauses.
       Ir
                                                                 Das Zimmer  erweiterte  sich zu einem mit Girlanden  und
                                                              Lampions  geschmückten  Saal, dessen  Perspektive  aufgeho-
                                                              ben war oder zu schwanken schien, als betrachte er seine
                                                              Umgebung  abwechselnd durch die entgegengesetzten  Enden
                                                              eines Opernglases.  Sakö,  der die Bilder taumeln macht.
                                                                 Selbständig lebten  in seiner Erinnerung  die Tischnach-
                                                              barn. Der alte Doktor aus Marseille,  dessen  Gesicht im Laufe
                                                              der Jahre  asiatische  Zige  angenommen  hatte, mit seinem
                                                              Lieblingsthema  ,,unheilbare  Krankheiten",  über  das er nie
                                                              endende Monologe  halten konnte.  Immer in seiner Nähe der
                                                              chinesische  Boy, Gefährte  unzähliger  Orgien,  ein listiges  Lä-
                                                              cheln,  das im Raum  zurückzubleiben  schien, nachdem er
                                                              längst verschwunden  war.
      t                                                          Die Frau  des Hotelbesitzers, deren trockenes  Husten im-
      I                                                       mer für Auftreten ankündigte,  bevor  sie in einem  roten Etui-
      I                                                       kleid hinter  einem Vorhang im Vestibtil oder oben auf der
      I
      l.                                                      Treppe in Begleitung  ihrer zwöIfiährigen  Tochter erschien.
      li
                                                              Auch die anderen ständigen Gäste  des Hotels sind Tanner
                                                              nach all den Jahren noch sehr lebendig  im Gedächtnis.
                                                                 Das Festessen  zu Ehren des Doktors,  dem am Vormittag
      l
                                                              desselben Tages  die Leitung  des Missionskrankenhauses
                                                              übertragen  worden war, endete mit einer Dankesrede seiner-
                                                              seits an die Familienmitglieder  und geladenen  Gäste.  Tanner
                                                              glaubte sich an die undeutliche  Stimme  des alten Doktors
                                                              zu erinnern,  die ihm seit jener  Zeitbeivielen  Chefs  unange-
                                                              nehm  aufgefallen  war. Doktor Vidoques Stimme klang über-
                   'r                                         heblich  und affektiert. Die Vokale erhielten durch eine Ver-
                                                              engung des Mundes,  die ihm das Aussehen eines pfeifenden
                                                              Arztes bei Diagnose einer tödlichen  Krankheit  gaben, jenen
                                                              Klang  falscher abgedunkelter  Vomehmheit,  die etwa das
                                                              Wort  ,Jeise" zu  ,,Läuse"  werden  läßt.
                                                                Die Rede selbst ist aus einem Grund, den Tanner nur
                                                              ahnen kann, ausschließlich fragmentarisch  erhalten. Worte
                                                              wie,,Tropenkrankheiten",,,Rezidiv"  und,,unheilbar" tau-
         züge noch unterstreicht, beginnt sofort eine Unterhaltung
                                                              chen immer wieder darin  auf, geben  dem Text die Struktur
         über die abwesende  Dame in Rot, die, wie der überraschte
                                                              einer endlosen  Litanei, die nach all den Jahren auch falsche
         Tanner erfährt, wegen einer als unheilbar  geltenden  Krank-
                                                              Erinnerungen  umschließt.
         heit seit einigen  Jahren  Patientin  des Doktors ist. Die Ein-
         zelheiten des  Gesprächs  sind Tanner  entfallen, nur das eroti-
         sche  Interesse  {iir die Frau ist geblieben;eine  Faszination,
         die er ihrer englisch-hawaiianisch-japanischen  Herku nft zu-
         schreibt.
            Ein paar Abende  später verbringen  sie zusammen  eine
         Nacht in dem Hotel aus der Kolonialzeit,  in dem Doktor
         Vidoque vot 23 Jahren ein Festessen  gab zur Feier seiner
         Amtseinführung  als Chefarzt  des Missionskrankenhauses...
                                                              Tanner liest jetzt  wieder den Brief, den ihm Valerie  vorhin
            Das Zimmer,  wo Valerie  und Tanner  miteinander  rituali-  gegeben hat. Es ist seine Entlassung.
         sieren, ist in denjapanischen  Ateliers stilgerecht  nachgebaut
                                                                ,,Ich  brauch eben einen  neuen  Job. Arubeito  nennen  es
         worden. Die Wände mit Seidenstoffen ä la Pompadour be-  die Japaner. Haben sie von uns übernommen."
         spannt, Damastvorhänge  an den Fenstem, Stühle, Fauteuils,  Dennoch  wunderte ihn immer wieder,  wie isoliert  und ei-
         ein Sofa mit weißen Linienmustern,  ihm gegenüber  ein  genständig  sie doch waren,  wie eingebunden in alte traditio-
         Louis-Quinze-Spiegel,  der ihre nackten  Gestalten verdop-  nelle Denkweisen. In den Monaten  in Tokyo war er mit
         pelt.                                                kaum  jemand näher bekannt geworden,  alles btieb in dem
            Später im Kino wird ein schwarzer  Querbalken  der Zet-  durch  geschäftliche  Beziehungen  abgesteckten Rahmen,  nur
         sur in dieser  Szene auf- und abhüpfen.  Wie in allen Pink Mo-  selten  während einer Feier wurden  die Kontakte  enger,  der

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