Hunderte Geschichten


Während eines Praktikums in Italien konfrontierte ich mich mit dem inneren Konflikt, fremde Menschen spontan auf der Straße zu fotografieren. Obwohl ich immer fand, dass der Mensch das interessanteste Subjekt ist, habe ich es oft vermieden, ihn zu fotografieren. Ich war zum einen scheu, zum anderen war es mir wichtig, nicht die Privatsphäre zu verletzen wie ein Voyeur. Diesen Konflikt trage ich nun schon einige Zeit mit mir herum. Die Möglichkeit, jemanden zu fragen, existiert für mich nicht. Ich muss keinem Fotograf erklären, wie sehr sich Gesichts- und Körperausdruck verändern, sobald ein Mensch weiß, dass er fotografiert wird. Hinterher nach der Erlaubnis zu fragen, ist auch schwierig, da viele Menschen an einem vorbei hasten. Doch wie gesagt – Menschen sind einfach so unglaublich interessant.

Deshalb habe ich dieses Mal einfach gehandelt, statt zu sehr über das Für und Wider nachzudenken. So entstand die aufregendste Fotoserie, an der ich je gearbeitet habe. In Daniel-Arnold-Manier raste ich durch die Stadt und machte unzählig viele Schnappschüsse. Die gelungenen strahlten für mich eine umwerfende Authentizität aus. Man streift durch die Stadt und sieht hunderte Geschichten. Menschen, die ihrem Tag hinterherhetzen, andere, die sich ihm ergeben haben und auf einer Parkbank eingeschlafen sind. Manche streiten sich und wieder andere helfen einander. Jemand stürzt sich auf sein Mittagessen, ein anderer bittet um Geld. Vielzahl, Diversität, Schönheit und Elend. Und hinter jedem Menschen stecken wiederum hunderte persönliche Geschichten. Alles, was ich über diese Menschen weiß, ist, was ich sehe, und das ist nicht viel.

Übrigens, mein innerer Konflikt ist immer noch vorhanden und ich hoffe ich habe keinen Menschen durch diese Fotos auf irgendeine Art verletzt.


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