Warum Straßenfotografie (für mich) die beste Meditation ist


Hast du dich schon einmal gefragt, warum du bei Wind und Wetter mit deiner Kamera auf die Straße gehst? Ewigkeiten an Straßenecken ausharrst, um auf das richtige Licht und interessante Menschen und Situationen zu warten? Um dann erschöpft, aber glücklich und mit hunderten Fotos auf deiner Speicherkarte wieder nach Hause zu gehen? Geht es dir wirklich um die Likes auf Instagram oder Facebook? Oder um eine angestrebte Ausstellung deiner Bilder? Oder ist das Fotografieren selbst nicht schon der ersehnte Ausgleich zum Alltag, der dich antreibt?

Der meditative, also entspannende und Geist und Gehirn klarmachende Effekt von Straßenfotografie ist enorm. Darauf hat mich eine Teilnehmerin meines Fotoworkshops, selbst Yogalehrerin, kürzlich so treffend hingewiesen. Sie meinte, dass Street Photography für sie eine stärkere meditative Wirkung hat als Yoga oder Meditation selbst. Beim Meditieren oder beim Yoga bliebe ihr Raum, ihre Gedanken schweifen zu lassen – bei der Street Photography ginge das nicht: Man sei viel zu beschäftigt damit, gleichzeitig Fotomotive zu suchen und auf andere Passanten und den Straßenverkehr zu achten.
Ich beschäftige mich seit einigen Jahren auch mit den Auswirkungen von Meditation auf den menschlichen Geist und halte die klärende, energetisierende Wirkung von Meditation für eine tolle Ergänzung zu einer „normalen Fototour“. Wie das funktionieren kann, möchte ich dir nun erklären.

Was ist Meditation eigentlich? Meditation ist kein Abtauchen in fremde Welten und dem Hinterherhängen irgendwelcher Gedanken, in denen man sich auf grünen Wiesen herumtollen sieht – nein, Meditation ist die reine Konzentration auf das Hier und Jetzt. Und ist es nicht das, was während einer Street Photography Tour geschieht? Du bist jede Minute, jede Sekunde auf der Lauer nach guten Motiven. Du siehst mehr von deiner Umwelt, also du es tätest, wenn du morgens zur Arbeit oder zum Einkaufen gehst. Schweifst du nur für einige Sekunden ab, könnte dir das Foto des heutigen Tages entgehen. Du weißt das instinktiv und blendest somit alles Störende aus, du bist nur im Hier und Jetzt – also das, was bei einer Atem- oder Aufmerksamkeitsmeditation angestrebt wird.

Das ist für mich die Erklärung dafür, warum wir nach einer Fototour oft wie nach einem kleinen Kurzurlaub nach Hause zurückkehren – wir waren draußen im Hellen, wir haben ablenkende Faktoren wie Facebook oder Telefonanrufe ausgeklammert – waren also in einem meditativen Hier-und-Jetzt-Zustand. Das alles völlig unabhängig davon, welche Ergebnisse wir dann wirklich auf unserer Speicherkarte oder unserem Film vorfinden.

Wie kannst du die meditative Wirkung deiner Street Photography Touren noch erhöhen?

Mit diesen drei kleinen Übungen kannst du deine nächsten Fototouren noch gehaltvoller, entspannender und befriedigender gestalten:

1. Die Fototour ohne festgelegte Strecke

Für diese kleine Übung ist es entscheidend, dass du dir im Voraus keinen Plan machst, wo dich deine Tour hinführen soll. Verlass dein Haus und gehe einen Weg, den du üblicherweise nicht gehst. Verabschiede dich von deinen Gewohnheiten und entdecke so eine neue Gegend deiner Stadt. Versuche, die Geräusche, die Gerüche und die Menschen in dieser Gegend so intensiv zu erfassen, als wärst du ein Tourist in deiner eigenen Stadt. Stell dir vor, du siehst all das das erste Mal und wolltest das, was dir auf deinem Weg begegnet, für die zuhause Gebliebenen festhalten. Biege an den Straßenecken ab, an denen dir deinen Intuition sagt abzubiegen und laufe für mindestens 2 bis 3 Stunden. Versuche die Fotos, die du machst, während deine Tour nicht anzusehen („No chimping!“) und widme dich dem Begutachten und Bearbeiten deiner Fotos erst dann, wenn du wieder zuhause bist – vielleicht mit einem guten Tee oder einem Glas Rotwein?

2. Atemmeditation meets Street Photography

Diese kleine Übung geht nun noch etwas mehr in die Richtung einer klassischen Mediation. Wenn du auf deine Tour eine Stelle gefunden hast, wo du gute Fotos machen kannst, also idealerweise ein Ort mit einem interessanten Licht und vielen Passanten, dann stell dich einfach hin und konzentriere dich für ca.3 Minuten auf deinen Atem. Versuche nicht, anders zu atmen als sonst, sondern lenke deine ganze Aufmerksamkeit auf deinen Atem. Merke, wie sich deine Bauchdecke hebt und senkt, während du ein- und ausatmest. Wenn du gedanklich abschweifst, dann kehre wieder zu deinem Atem zurück.

Wenn du diese Übung für ca. 3 Minuten durchführst, dann wirst du ruhiger und entspannter sein, und dich trauen, auch etwas näher an das Geschehen – ergo die Personen auf der Straße – heranzutreten. Du wirst auch merken, dass deine Aufmerksamkeit etwas schärfer geworden bist und wirst Personen und Situationen mit etwas Glück Sekundenbruchteile früher wahrnehmen – und um Sekundenbruchteile geht es ja ab und an, wenn es sich entscheidet, ein geniales oder nur durchschnittliches Streetfoto zu machen.

3. Wirklich bewusstes Fotografieren

Ich bin kein Freund der Theorie „Fotografiere alles, was deine Aufmerksamkeit erregt“ – Fotos bekommen so oft etwas Beliebiges, was höchstens zu selbsttherapeutischen Zwecken taugt, aber Außenstehenden meist nichts sagt. In der Meditation gibt es eine Technik, mittels derer du ungewolltes, impulsives Verhalten eindämmen kannst. Wenn man während einer Meditation das Bedürfnis verspürt, sich zu kratzen, dann sollte man sich kurz sagen „Ich kratze mich jetzt“ oder „Ich verrücke meinen Po ein wenig“ und es erst dann tun.

Auf die Straßenfotografie übertragen würde das heißen, dass man sich vor jedem Drücken des Auslösers klar über das Wie und dann das Wann ist. Du solltest das Bild, das du machen willst grob vor Augen haben und dann erst den Auslöser drücken: In welchem Winkel, auf welcher Höhe solltest du die Kamera halten? Wo sollte ein Passant stehen oder laufen, um die optimale Bildwirkung zu entfalten?

Das bedeutet nicht, dass du keine schnellen Schüsse von Situationen, die ansonsten ein für allemal vergangen sein werden, machen sollst, aber in dieser Übung geht es darum, durchdachter zu fotografieren. Und und wirst sehen – wenn du diese Übung öfter machst, wird sie sich auch auf ungewolltes impulsives Verhalten im Alltag auswirken.

Du siehst, mit Meditation kannst du deine Fototouren abwechslungsreicher und hoffentlich noch entspannender gestalten – Kurzmeditationen von 3 bis 5 Minuten eignen sich auch immer sehr gut, um der Reizüberflutung, der wir im öffentlichen Raum oft ausgesetzt sind, entgegenzuwirken und wieder gesammelt und konzentriert auf die Jagd zu gehen.

 


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