Page 3 - gasolin#08
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Jan Kercuac                                          und mich damit von meiner  Kellnerinnenkarriere  erlöst, wo-
                                                              für ich ihr wahrscheinlich  ewig dankbar sein werde. Jeden
                                                              Morgen um zehn vor sechs  machten  Maggie und ich uns auf
                                                              die Beine und fuhren, mit den dreckverklumpten  Stiefeln
                                                              auf dem Armaturenbrett der dicken  schwarzen  Matilda zur
         GE]ÜSUDE]T                                           wir eine kurze Kaffeepause,  gaben die tollsten Lügen  zum
                                                              Rennbahn. An der Fernfahrerstation  Ly and Bragg machten
                                                              Besten und strunzten  im breiten  Slang  des Südens von einer
                                                              imaginären Farm in Kentucky, ehe wir in einer Wolke von
         Diffuses rötliches  Licht drang  durch  die besctrlagenen Fen-  Abgasen  und Staub der aufgehenden  Sonne  entgegenstoben.
         sterscheiben meines Zimmers auf dem Apodaca  Hill. Es  Maggie arbeitete im Stall nebenan  und hatte Zeit gemtg,  { o
         war der letzte Tag der Rennsaison.  Eigentlich  hätte  ich gar  mir alles beizubringen, was man über Pferde  wissen muß  -  U)
         nicht mehr hingehen  brauchen,  aber trotzdem wollte ich  wie man sie beschlägt,  vor einern Rennen  ihre Nüstern mit  o
         ihnen den Gefallen  tun. Ich mochte die Arbeit mit den Pfer-  Vick bestreicht,  damit sie leichter atmen können,  ihre Fes-  l-
                                                                                                               '§
         den und irgendwie tat es mir leid, damit aufzuhören. Also  seln bandagiert  und alle möglichen anderen Sachen, von
                                                                                                                o
         wälzte ich mich aus den lavendelfarbenen  Nylonlaken,  zog  denen  ich als New Yorker  Großstadtkind  keine Ahnung hat-  G
         mich auf dem kalten Holzfußboden  an und zwängte mich in  te. Ich bewunderte sie, wenn  sie furchtlos  unter den großen  o
         die schlammverkrusteten  Cowboystiefel.
            Draußen  wartete  Matilda,  mein 55er Caddy, und grinste
         mir aus der schwarzen  Chromrüstung  zu. Ich stieg ein und
         wir rumpelten  den Berg hinunter, kurvten durch die engen
         Gassen von Santa  Fd, vorbei an den Reihen von Lehmhäu-
         sern, deren vigas wie Tootsie-Rolls-Stiele  aus den Wänden
         herausragten.  Über dem Highway  von Albuquerque,  zwei-
         tausendfünfhundert Meter über dem Meeresspiegel,  ging
         gerade der knallrote  Mond am klaren Himmel unter.  Die
         sandigen Ufer der arroyos und die Schluchten,  die sich
         durch  die mit Tannenzapfen  übersäte  Landschaft zoger,,e?
         innerten  irgendwie  an Nordafrika  -   es fehlte eigentlich nur
         noch das Meer.  Die flimmernde Weite des Raums sirrte durch
          die mesas in der Ferne und die roten Lehmfelsen.  Diese At-
         mosphäre  von Neu-Mexiko  mit ihren deutlich  voneinander
         abgesetzten Farbschattierungen, dunkeirot und blau, die in
         violetten Dunst übergingen... ja, das war der einzige  Ort im
         Landesinneren,  an dem ich das Meer vergessen  konnte.
            Als ich die Innenstadt  von Santa  FÖ erreichte,  brach  der
         Tag an. Heute würde ich den Geräteraum  aufräumen,  Pfer-
         decken falten,Wagen anspannen  und dem Trainer  bei seinen
         Vorbereitungen  für das Rennen  in El Paso  zur Hand  gehen.
         Aber vorerst  waren  noch ein paar Boxen auszumisten.  Ich
         kehrte das vollgepisste Stroh aus dem Stall und versuchte,
         mir meine bevorstehende  Reise auszumalen, wo ich Ganders
         treffen  wollte.  Zuerst  war mir das Ganze  ja ziemlich unwirk-
         lich vorgekommen, aber dann schickte er massenweise  auf-
         munternde Briefe,  die sich eher als Überraschungspakete
          oder Witzblätter  entpuppten. Die ernsten Seiten von Gan-
          ders würde ich erst später entdecken.
            Es war Ende  September, ein waffner Dunst 1ag in der
          Luft. Ich hockte mich hin und rtihrte fiir die Pferde, die
          nachmittags  dran waren,  eine süße  Kleiemischung  an. Sie
          schwangen  ihre langen braunen Hälse über die Boxengitter
          und beobachteten mich ungeduldig. Nach ein paar Minuten
          war der Stall nur noch ein einziges Durcheinander  von stamp-  Biestern herumturnte  und mit ihren geschickten  Händen  die
          fenden Hufen  und Gewieher.  Als letztes gab ich noch einen  Beingelenke umknickte,  als wären sie aus Gummi, aber nach
          Schuß flüssiger  Vitamine hinzu  und genehmigte  mir dabei  kvzer Zeit konnte ich das a1les fast genauso gut.
          auch selbst, wie jeden  Morgen, einen ordentlichen  Schluck  Wehmütig  dachte ich an die Tage zurück,  wo wir zusam-
          aus der Flasche.  Dann  hängte  ich einem nach dem andern  men ins Stadion  gegangen  waren,  um unsere  lächerlichen
          einen Eimer um den Hals, und als aile friedlich  vor sich hin  Lohnschecks  zu verwetten. Ich sah Maggie vor mir, schlank,
          mampften, ließ auch der Lärm allmählich nach.  Dies ist  aber klein, und das goldene Haar  glänzte wie Seide in der
          das letzte Mal, daß ich sie füttern kann, dachte ich und  Sonne. Wenn  sie mich mit ihren eidechsengrünen  Augen  an-
          saugte einen Schluck  reines  Quellwasser  (für die Vollb.üter)  grinste, konnte ich mir das Lachen einfach  nicht verkneifen.
          aus dem ausgefransten Ende des dicken grünen  Schlauchs.  Aber an diesem lelzten  Tag konnte ich meine Erinnerungen
            Meine Freundin  Maggie Bells, die mich mit Ganders zu-  nicht mehr mit ihr teilen, sie hatte nämlich schon einen Tag
          sammengebracht hatte, hatte mir auch diesen  Job verschafft  eher als ich aufgehört.
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