Den Obdachlosen Thomas lernte ich auf einer meiner Kölner Fototouren vor knapp zehn Jahren kennen. Oft war ich an ihm, an seinem Stammplatz am Kölner Museum Ludwig, vorbei gelaufen und stets las er in einem Buch über das ich mit ihm irgendwann ein erstes Gespräch suchte. “Ich lese keine Western oder anderen Schund”, so Thomas. Anspruchsvolle Belletristik fesselte ihn und er konnte stundenlang aus diesen Büchern erzählen. Thomas hatte trotz widrigster familiärer Umstände sein Abitur geschafft, war danach mit Freunden nach Portugal abgehauen um dort auf einem gekauften Grund und Boden zum Selbstversorger zu werden. Als eines der vielen Sommerfeuer ihren gesamten Besitz in Schutt und Asche legte, kam Thomas mittellos nach Deutschland zurück und fand keinen Anschluss mehr an ein geordnetes Leben. Er landete schließlich auf der Straße, trank sehr viel Wein und versteckte sich hinter seinen Büchern.
Thomas wurde für mich zum Startschuss in die mich zunehmend faszinierende Szene von Menschen am Rande der Gesellschaft. Nach weiteren Gesprächen mit anderen Obdachlosen lernte ich sehr schnell, meine deutlich vorhandenen Klischees (Faulpelze, Alkoholiker, Drückeberger, Verwahrloste etc) zügig abzubauen. In der Folgezeit entstanden bis heute über 70 Porträts d.h. Gespräche und Fotos mit und von Obdachlosen, die häufig im Kölner Obdachlosenmagazin “Draussenseiter” veröffentlicht wurden und noch werden. Einige Projekte wurden aufgelegt, die von etlichen Fotoausstellungen begleitet wurden. Am Anfang standen stets Gespräche mit Obdachlosen, auch mehrere Gespräche über Wochen verteilt, bevor wir uns mit dem Thema Fotografie beschäftigt haben. Es sollte nicht irgendein möglichst spektakuläres Foto gemacht werden, sondern ein Foto auf Augenhöhe, auch und unter Mitwirkung des Protagonisten, im Sinne einer “Sociodocumentary Street Photography”. Fotos, die eine Bühne bekommen sollten und die mithelfen sollten bei den Betrachtern ebenfalls Klischees gegenüber Randgruppen zu vermindern bzw. abzubauen. Es war der Versuch den Obdachlosen möglichst nahe zu kommen ohne dabei fotografisch voyeuristisch zu wirken.
Fotoausstellungen zum Thema “Ohne Wohnung – Mit Würde” gab es z.B. anlässlich der 1.Fotobiennale in Achern (2016), in der BBK (Bundesverband Bildender Künstler) Galerie in Aachen (2017), im Rahmen der Kölner Kulturmeile Stammheim (2015, 2016 und 2017).
Zu aufgelegten Projekten wurden z.B. “Wenn Wünsche wahr werden” Obdachlose als Menschen mit einer Geschichte, mit Wünschen und Hoffnungen. Ein Fotoprojekt von Obdachlosen in der realen und in ihrer Wunsch-Welt. Albrecht Zehnpfenning z.B., “Ali” wollte gerne im Kölner Hotel Ernst, Excelsior, in der ganz großen Welt fotografiert werden und Erwin wünschte sich ein Foto zusammen mit einem Mercedes SLK. Diese und andere Wünsche konnten im Rahmen des Projektes erfüllt werden. (Der Kölner Express berichtete ausführlich über dieses Projekt in seiner Weihnachtsausgabe 2011).
Weitere Projekte beschäftigten sich zudem mit der Situation von Frauen auf der Strasse, das Foto zeigt Bettie mit ihrem Liebling Lucky
(Quelle: Obdachlose Frauen in Köln Wie es sich anfühlt, auf der Straße zu leben )
und dem Thema “So leben Kölner Obdachlose”, Fotos von Schlafstellen, das Foto zeigt eine Wohnung unter der Kölner Zoobrücke.
(Quelle: Beeindruckende Bilder – So leben Kölns Obdachlose )
Internationale Fotografen und Menschen am Rande der Gesellschaft
Lee Jeffries
Lee Jeffries, UK, Manchester, war viele Jahre Sportfotograf, bis er ein obdachloses Mädchen in den Straßen von London traf, dort in ein Gespräch vertieft wurde und dieses Mädchen schließlich zusammengekauert im Schlafsack fotografierte. Es wurde sein Schlüsselerlebnis. Seine Wahrnehmung von Obdachlosen hatte sich völlig verändert und sie wurden zum Hauptthema seiner Fotokunst auf seinen Reisen durch Europa und die USA. Bevor Jeffries um die Erlaubnis für ein Foto fragt, wollte er stets die ganze Geschichte hören um seine Fotos so authentisch wie möglich zu gestalten und um auf diese Weise sein ganzes Mitgefühl für die Welt zu äußern.
( Quelle: Lee Jeffries fotografiert Obdachlose auf seiner Reise durch die USA und Europa )
Jan Banning
Jan Banning, Niederlande, Utrecht, widmet sich in fotografischen Langzeitprojekten sozialen und politischen Fragen. Für eine Porträtserie von Obdachlosen hat er gut hundert Obdachlose im Südosten der USA fotografiert, In South Carolina, Georgia, Mississippi, in den Städten und auf dem Land. Kurze Begleitinterviews zeigen die häufig tragischen Lebensgeschichten der Portagonisten, die Banning in seinem Bildband “Down and Out in the South” porträtiert hat. Banning lichtete die Frauen und Männer so ab, wie er sie angetroffen hatte. Aber er setzte professionell Licht und benutzte einen neutralen Hintergrund. Er baute in Obdachlosenunterkünften, in Suppenküchen etc ein mobiles Fotostudio auf und löste den Obdachlosen auf diese Art aus seinem Elendskontext, sorgte so für einen intimen Moment in dem der Mensch sichtbar wird. Banning zeigt “seine” Obdachlosen nicht als Opfer – sondern als Menschen mit Stolz und Würde. Auf die häufig gleichen Klischeefotos von den Lebensumständen von Obdachlosen z.B. auf Fotos von Einkaufswagen mit wenigen Habseligkeiten, von tristen Schlafplätzen in dramatisierendem Schwarzweiß verzichtet Banning ganz bewusst.
( Quelle: Stolz, Traurigkeit, Lächeln – Obdachlose der USA )
Horia Manolache
Horia Manolache, Rumänien, Bukarest, hat in San Francisco Obdachlose und ihre Träume inszeniert. “Obdachlose leben auf der Straße aber das heißt nicht, dass sie keine Träume, keinen Plan für die Zukunft haben.” Manolache sprach mit Obdachlosen und den Berufen, die sie gerne ausgeübt hätten, wenn nicht die Drogensucht oder der Vietnamkrieg dazwischen gekommen wäre. Danach inszenierte er jeweils zwei Fotos. Ein klassisches Porträt und eines, für das Manolache seine Protagonisten für einen Tag in ihre jeweiligen Träume versetzte. Die Obdachlosen wurden aufwändig geschminkt und ebenso die passende Berufskleidung besorgt. Das Projekt nannte sich “Der Prinz und der Bettler”. Das Fotoergebnis berührt den Betrachter, da es zeigt, wie bescheiden die Wünsche der Obdachlosen sind und auch, weil es zeigt, wie schwer diese Wünsche erreichbar scheinen. “In meinem Projekt geht es um die Träume von Leuten, die vergessen haben zu träumen”, so Manolache.
( Quelle: Dieser Fotograf zeigt Traum und Realität von Obdachlosen )
Jae C. Hong
Jae C.Hong, USA, Los Angeles, hat entlang der Westküste der USA Obdachlose porträtiert. An Obdachlosen vorbeizugehen ohne hinzusehen, fällt vielen leicht. Sehr viel schwieriger ist es, den Menschen mit ihren Pappschildern, auf denen sie um etwas Essen oder Geld bitten, in die Augen zu schauen. Genau das hat Hong getan und eine Serie von sehr berührenden und bewegenden Bildern von Menschen geschaffen, die auf der Straße leben. In Anaheim nahe Los Angeles, wo das Disneyland tagsüber unzählige Touristen lockt, schlafen regelmäßig etwa vierhundert Menschen auf einem Radweg im Schatten eines Baseballstadions. Die Nachrichtenagentur AP hatte mehrere Fotografen losgeschickt um die Obdachlosigkeit an der US – Westküste zu dokumentieren. Ein Teil dieses Projektes sind die Bilder von Jae Hong, der die Augen der Obdachlosen in den Fokus nahm, sein besonderer Blick in die Seele dieser Menschen. Jede seiner Aufnahmen wird durch Informationen über die Porträtierten ergänzt.
( Quelle: Obdachlose an der US-Westküste )
Claudia Rogge
Claudia Rogge, Deutschland, Düsseldorf, hat Obdachlose im Rahmen ihrer durchaus provokativen Fotokunst wie Gott sie schuf fotografiert und sich dabei an die Göttliche Komödie des italienischen Dichters Dante Alighieri angelehnt. Sie hat 30 Obdachlose nackt fotografiert, die nackte Grausamkeit des Lebens zeigend, die einzelnen Fotos freigestellt und digital zu drei monumentalen Kunstwerken zusammengefügt.
Die Menschenberge landen im Himmel, in der Hölle und im Fegefeuer. Zu erkennen: die Süchtige, die sich eine Spritze setzt. Der Trinker, dem der Fusel über den Unterkiefer rinnt.
Die Fotoaktion entstand in Zusammenarbeit mit der Obdachlosenhilfe „fiftyfifty“, der der Erlös aus dem Verkauf zukommen soll. Die Großformate kosten 13 000 Euro, die Einzelportraits je 980 Euro.
( Quelle: Foto-Kunst: Obdachlose, wie Gott sie schuf )
Boris Mikhailov
Boris Mikhailov, Ukraine, Charkov. International bekannt wurde Mikhailov nach dem Zerfall der Sowjetunion durch seine Ende der 1990er Jahre aufgenommenen Bilder von Obdachlosen. Darunter waren auch Alte, Kranke und Kinder und gegen Bezahlung zum Teil nackt fotografiert. Die porträtierten Obdachlosen zeigen selbstbewusst ihre mal aufgedunsenen, mal abgemagerten Körper, Brüste, Bäuche, Narben – und es ist der Betrachter, den das beschämt. Die Fotos pflegen einen vielleicht eher zweifelhaften Voyeurismus, in dem jede Individualdistanz schmerzhaft verloren geht. Es gab häufiger Vorwürde gegen Mikhailov, dass er für seinen fotografischen Ruhm und seine 400 Fotos umfassende Serie “Case History” (1997 – 1999) arme Menschen ausgenutzt habe. Mikhailov gilt heute als einer der angesehensten Künstler aus der ehemaligen Sowjetunion und ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.
( Quelle: Die Heiligen aus der Gosse )
Diane D.Nilan
Diane D.Nilan, USA, Naperville, ist Obdachlosen – Aktivistin. Sie dokumentiert seit 13 Jahren die Schicksale von Obdachlosen in den USA mit ihrer Kamera – Menschen, die alles verloren haben. Vor allem den Jüngsten unter den Ärmsten, den heimatlosen Kindern, will sie auf ihre Art mehr Aufmerksamkeit und so auch Hilfe verschaffen. In den USA gelten rund 3,5 Millionen Menschen, so die letzte Schätzung von Amnesty International, als obdachlos. VIele von ihnen sind Kinder oder Jugendliche. Diane Nilan schaut angesichts dieser dramatischen Verhältnisse nicht weg, sondern sieht hin und dreht. Ihre Filme sind anschließend im Netz zu sehen oder dienen als Schulungsmaterial für Lehrer
( Quelle: Von der Gesellschaft vergessen – Obdachlose Kinder )
Wolfgang Bellwinkel
Wolfgang Bellwinkel, Deutschland, Berlin, hat über das Thema “Architektur der Obdachlosigkeit” einen besonderen Zugang zu Menschen am Rande der Gesellschaft gefunden. Das Thema Obdachlosigkeit bearbeitete er, indem er Decken, Schlafsäcke und Isomatten fotografierte, auf denen wohnungslose Menschen geschlafen haben. Die Entstehung seiner übergroßen Farbfotografien auf denen bewusst keine obdachlosen Menschen abgebildet sind, beschreibt er folgendermaßen: “Meine Auseinandersetzung mit dem Thema Obdachlosigkeit hat mich gelehrt, dass die meisten Obdachlosen in gewisser Weise sesshaft sind und durchaus einen festen Ort (ihren Stammplatz) bewohnen, den sie selten wechseln.” Bellwinkels nahezu aseptisch saubere Matratzenbilder scheinen das obdachlose Leben zu ästhetisieren. Mustert der Betrachter die Hochglanz – Oberflächen jedoch genauer, entdeckt er auf den Matratzen etwas anderes: sein Spiegelbild
( Quelle: Architektur der Obdachlosigkeit )